ZENTRUM FÜR GANZHEITLICHE

KREBSBERATUNG

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sieben küchentisch-impressionen

mittwoch, 18. märz 2020  (seit montag corona-ausnahmezustand)    

küchentisch-impression 1

tulpen

zitronengelb und ila

das grün der blätter

 

im wasser bricht etwas

und etwas spiegelt sich

dicht die stängel

 

äpfel in der obstschale

grüßen freundlich

prall und frisch und fröhlich 

 

das schnapsglas von der oma

auch blumen draufgemalt in rot und gelb und blau

und punkte rot und gelb 

 

die glasperlenkette 

grün-weiss-rosa-blau-gelb-lila 

folgen einander endlos

 

halbedelsteine

rotbraun und rostrot und blaugrün und durchsichtig grün

im großen bergkristall brechen lichtstrahlen

 

im wasserglas das licht

zittert silbern und weiss 

vereint im goldenen punkt am boden

 

sonnenstrahlen

finden tanzend ihren weg

spielen anfang und ende

 

montag, 6. april 2020 (corona-woche 4) 

küchentisch-impression 2

abend – stille

gedämpftes licht

 

ostern war wieder einmal

zwei rote – selbst gefärbte –eier

liegen noch

neben dem schoko-hasen mit dem glöckchen

im körbchen mit gras aus papier

 

auf dem deckchen aus alter zeit

auf dem fröhliche hasen eier bemalen

und  in die wiese werfen

 

lila-rosa tulpen

mit kräftigen dunkelgrünen blättern

hochgereckt die köpfchen

prall und frisch und jung

 

der tod wartet

immer

die fröhlichen häschen auf dem deckchen

kümmert das nicht

jedenfalls leben sie länger als ich

 

aber da bin ich ja schon auferstanden

 

„alles liebe“

schicken drei blau-gelbe meisen

von der glückwunschkarte …

 

mittwoch, 15. mai (9.30 uhr)

küchentisch-impression 3

rosarote rosen und dunkelgrüner efeu

die blüten der weißen lilie

öffnen sich

dem licht

das, leicht verhangen,

im bergkristall

hundertfach bricht

 

neues licht erstrahlt

auch in den bunten steinen

jeder sein eigenes funkeln

seine eigene schönheit

 

ostern ist vorüber

das hasen-deckchen weggeräumt

ruht

bis zur nächsten auferstehung

im schrank

 

die fröhlichen meisen

sitzen noch

auf der„alles liebe“– karte

auf meinem tisch

ich lächle auch

 

montag, 18. Mai 2020 (21 uhr)

küchentisch-impression 4

frische rosarote rosen

die bunten halbedelsteine

(um die kerze herum)

überleben

mich und alles

was sonst noch hier herum ist

auf dem fröhlich-gelben frischen tischtuch

 

alles atmet auf

(die menschen auch – noch hinter masken)

 

das leben atmet immer

ein und aus

und dazwischen

ich und viele andere

so bewußt wie schon lange nicht mehr

 

fröhlich singen die meisen auf meiner karte

noch immer „alles liebe“

ich mag sie nicht wegräumen

sie sind mir sehr ans herz gewachsen

in diesen tagen, wochen

hoffnung ist

auch gewachsen

 

dahinter, am fenster, gurrt eine taube, draußen, 

ja ja ja

mach dir nicht so viele gedanken

ja ja ja

 

dienstag, 19. mai 2020  (23.30 uhr)

küchentisch-impression 5

ein glas prosecco

ein glas wasser

nach einem guten tag

ein guter abend

vielleicht auch eine gute nacht

 

ja, die menschen atmen auf

im schanigarten heute abend

lachen

freundliche gesichter

die man lange nicht sah

wegen der masken

 

fröhliche gesichter

an den tischen

unter einem klaren himmel

klar wie schon lange nicht mehr

 

ein stück vom himmel

vom küchenfenster aus

erinnert mich an damals

auf dem land

der himmel mit so vielen sternen

 

hier in der stadt

sichtbar wie schon lange nicht mehr

erfreuen mein herz

 

mittwoch, 20. mai 2020 (14 uhr)

küchentisch-impression 6

blauer himmel jetzt – mittagssonne

(ich werde die klare, saubere luft vermissen)

wenn der himmel wieder

voller flugzeuge ist

bei tag und bei nacht

 

rosa rosen

weiße lilie

basilikum am fensterbrett

draußen blüht jetzt alles

flieder noch

jasmin beginnt

hollunder üppig

und die pfingstrosen

und der kleine blaue ehrenpreis

mit seinen herzerfrischenden gesichtern

wie clowns 

belächeln wohl unsere dummheit

ein wenig fragend

und staunend

 

ja, staunen ist gut

so viel schönheit überall

schau genau hin

flüstert leis der ehrenpreis

 

montag, 25. mai 2020 (21.30 uhr)

küchentisch-impression 7

pfingstrosen

rosa, weiß, dunkelrot

prächtig aufgeblüht

fantastisch in ihrer fülle

 

pfingstrosen-blätter und jasmin

haben wir als kinder gestreut

vor dem allerheiligsten

in der prozession durch das dorf

in den weißen erstkommunion-kleidchen

 

himmlische düfte

wie musik

lassen sie höheres erahnen, erspüren 

wissen

 

nicht zu erklären, begreifen

tiefes wissen in uns

dass alles seine richtigkeit hat

über alle zeiten hinweg

unfassbar dem kleinen menschlichen geist

nur die seele ahnt

spricht mit mir

fühle 

 

keine fragen jetzt

 

rundum erstrahlt alles

lächelt

schwerelos

keine fragen

einen augenblick lang

eine ewigkeit

 

 

***

MEIN (ÜBER)LEBEN IN DER CORONA-KRISE

Dezember 2019 bis Februar 2020: Irgendwo im fernen China gibt es Erkrankungen mit einem neuen Virus, liest und hört man in den Medien. Na gut, was kümmert das uns?

10. März 2020: Das Virus ist in Europa angekommen. Shutdown in Österreich: Die Bundesregierung gibt u.a. bekannt, dass Veranstaltungen intern nur mehr bis 500 und extern nur mehr bis 1.000 Personen erlaubt sind.

Schock,Verwirrung, eine Katastrophe für mich. Mein Leben ist zu einem bedeutenden Teil auf das Erleben von Kultur ausgerichtet. Drei Konzerte und eine Live-Übertragung aus der MET in New York sind im März fix gebucht, weitere Kulturaktivitäten fix geplant. Ein Leben ohne Kunst und Kultur konnte ich mir schon als Kind und Jugendliche nicht vorstellen. Die Kunst bescherte mir nicht nur viele erfüllende Stunden, sie hat mir auch die Kraft gegeben, über viele dunkle Stunden des Lebens hinweg zu kommen, so auch durch die Zeit meiner Krebserkrankung. Claus Peymann in „Die Bühne“ 6/2020 spricht mir aus der Seele: „ Eine Welt ohne Kunst, ohne Musik, ohne Theater, ohne die Malerei wäre eine Wüstenlandschaft!“

Dann geht es fast jeden Tag Schlag auf Schlag: Alle Gastronomiebetriebe, alle Schulen und Hochschulen, alle Geschäfte – bis auf die bekannten Ausnahmen – geschlossen, alle Veranstaltungen abgesagt und Bewegungseinschränkungen. Das Hinausgehen aus der Wohnung ist nur mehr aus vier Gründen erlaubt. Keine Kontakte mehr mit der Familie, mit Freunden, Umarmungen, Küsse verboten. Ich empfinde: es ist der Kontrollverlust über mein eigenes Leben. Das betrifft abertausende Menschen in Österreich. Die Arbeitslosigkeit ist so hoch wie noch nie nach Ende des Zweiten Weltkrieges. Unendlich viele Menschen, auch aus dem Kulturbereich, stehen vor dem existentiellen Nichts.

Was tun? Ich sehe, die Menschen versuchen die verschiedensten Wege: Am Anfang Klopapier, Germ und Konservendosen hamstern, laufen oder viel spazieren gehen an der frischen Luft, Brot backen… Ich telefoniere viel mit FreundInnen, Sohn und Enkeltochter gehen für mich einkaufen (jedes Mal ein Labsal, sie zu sehen und zu sprechen) und gehe so viel spazieren wie noch nie in meinem Leben. Der Auftrag, daheim zu bleiben, treibt einen offenbar besonders hinaus. Noch dazu ist der Frühling voll ausgebrochen, alles blüht und grünt und diese machtvolle Kundgebung des Lebens verstärkt dieses Gefühl der Unwirklichkeit, des Gespenstischen, das man anlässlich des Shutdown in all seinen Auswirkungen auf unser aller Leben empfindet.   Kultur wird sehr schnell und in immer größeren Umfang per Internet angeboten. Ich bekomme viele E-Mails von Freundinnen mit derartigen Angeboten weitergeleitet, da sie wissen, wie wichtig mir Kulturerlebnisse sind. Diese Zuwendung tut gut. Überhaupt: ich richte mich erstaunlich schnell in den neuen Verhältnissen ein. Der Mensch ist offenbar sehr anpassungsfähig, erlebe ich am eigenen Leib. Unruhig macht mich der Gedanke, dass meine jährlichen Nachsorgeuntersuchungen mit deren Befunde ich dann einen Termin im AKH habe, anstehen. Werde ich die Untersuchungen machen können, werde ich ins AKH gehen können? Alles ist offen.

Inzwischen sind dreizehn Wochen des Shutdown vergangen. Viele Beschränkungen wurden von der Bundesregierung aufgrund der guten Verlaufszahlen von Erkrankten, Wiedergenesenen und Verstorbenen wieder zurück genommen. Es gibt – wenn auch mit Einschränkungen – wieder Kulturangebote ab Juni. Und das ist gut so. Denn nichts kann den direkten Kontakt zwischen KünstlerInnen und Zuschauern ersetzen, dieses Erlebnis des Gemeinschaftsgefühls. Ich konnte schon für drei Konzerte Karten kaufen, was für ein Hochgefühl! Auch Treffen mit Familie und FreundInnen hatte ich schon. Wie schön! Nur das nach wie vor vorhandene Verbot des Händegebens, des Umarmens und des Küssens ist schwer zu ertragen. Ich ertappe mich immer wieder bei dem Impuls, dies zu tun und bremse mich im letzten Augenblick ein.

In diese Zeit des Stillstandes eines normalen Lebens fielen für mich auch etliche geplante und ungeplante Spitals-, Arzt- und Untersuchungstermine wie z.B. die erwähnte Krebsnachsorge. Teilweise organisatorisch mühsam, diese Termine wahrzunehmen, aber immer mit dem Erleben, dass sich alle handelnden Personen bemühten, die notwendigen Untersuchungen und Behandlungen zu ermöglichen. Ich bin wieder einmal froh und glücklich, in Österreich, in Wien zu leben.Was ist die Schlussfolgerung aus diesen Wochen der Corona-Krise für mich? Ich bin doch stolz darauf, diese außerordentlichen Umstände recht gut bewältigt zu haben und wieder einmal erstaunt, was alles zu schaffen ist. Dies macht Mut, in die nächsten Herausforderungen zu gehen.

Ein einfaches Prinzip

Eine Bekannte hat mir kürzlich erzählt, daß ihr Vater in den letzten Wochen der Corona-Maßnahmen immer mehr von seinem Lebenswillen und seiner Lebensfreude verloren hat weil sein Enkel ihn nicht mehr besuchen durfte. Sie sagt, daß er immer mehr verfällt und er selbst sagt, daß er sich seelisch und körperlich zunehmend elender fühlt, weil die Zeiten mit seinem Enkelkind für ihn eine Quelle der Freude und der Kraft waren.
 
Man kann solche Erfahrungen als unausweichlich hinnehmen und darauf hoffen, daß möglichst bald der altbekannte Zustand wiederhergestellt ist. Ich hatte allerdings das deutliche Gefühl, daß es eine Rückkehr zu einem gewohnten Vorher nicht geben wird und habe mich daher damit auseinandergesetzt, welche Botschaften, welche Hinweise, welche Erkenntnisse die Geschehnisse der letzten Monate für uns bereit halten, worauf sie uns vielleicht hinweisen wollen und ich bin dabei zu den folgenden Gedanken gekommen.
 
– In dieser Zeit der Isolation haben wir die Gelegenheit, uns klar bewusst zu werden wie sehr wir einander brauchen, daß wir eigentlich ohne einander nicht leben können.
 
– In dieser Zeit der Masken und des Abstandhaltens haben wir die Gelegenheit zu erkennen, wie wichtig für uns Nähe, Berührung, Austausch, Lächeln, Blicke, die bloße Gegenwart anderer Menschen sind.
 
– In dieser Zeit von Home-Office und ausufernder Online-Kommunikation haben wir die Gelegenheit zu spüren, daß diese Art von Kontakt niemals auch nur annähernd ein Ersatz sein wird für einen Händedruck, ein persönliches Gespräch, eine reale Begegnung.
 
– In dieser Zeit wo wir uns zum Schutz vor Krankheit Maßnahmen verordnen, die selbst krankmachend sind weil sie uns von den wichtigsten Quellen unserer Lebenskraft abschneiden, haben wir die Gelegenheit uns zu fragen was für ein seltsames System wir uns da erschaffen haben und ob das wirklich die Art von Gesellschaft ist, die wir uns von Herzen wünschen.
 
– In diesen Zeiten des Protests, der gegenseitigen Beschuldigungen, der Unruhen, des Hasses, der Ignoranz und Arroganz haben wir die Gelegenheit zu begreifen, daß wir unbedingt Verbundenheit mit dem Leben, mit der Welt, mit den Anderen brauchen und daß wir einfach alles dafür tun müssen, daß diese Verbundenheit wiederhergestellt, erneuert, belebt, global erweitert und vertieft wird, weil wir uns sonst gegenseitig zerstören werden.
 
Viele haben das Gefühl, daß alles auf dem Spiel steht. Viele wissen nicht mehr, wem sie glauben sollen oder was sie glauben sollen, fühlen sich gelähmt, den Geschehnissen ausgeliefert. Aber es gibt ein uraltes, längst bekanntes und oft als zu einfach verschmähtes Prinzip, das uns sofort aus dieser Orientierungslosigkeit herausholt und uns sofort und dauerhaft die Gelegenheit gibt zu handeln. Dieses Prinzip heißt: wir müssen gut zueinander sein.
 
Gut zueinander zu sein heißt, unserem tiefen, lebenswichtigen Bedürfnis nach Verbundenheit gerecht zu werden. Es heißt nicht, daß wir besser als andere sein müssen und es heißt nicht, daß wir uns für jemand anderen heldenhaft aufopfern müssen. Wir tun es nicht für andere, sondern wir tun das in Wirklichkeit für uns selbst. Es tut uns selbst gut, gut zu anderen zu sein. Und es schadet uns selbst, nicht gut zu anderen sein. Das ist keine Frage der Moral, sondern ganz direkt und sofort erfahrbar und spürbar, wenn wir in dem Moment wo wir gut oder schlecht über jemand anderen denken bzw. gut oder schlecht gegegnüber jemand anderem handeln.
 
Wenn dieses Prinzip für uns oberste Priorität hat, wenn uns nichts wichtiger ist als das, könnten viele Fragen mit einem Schlag bedeutungslos werden und es könnten sich viele überraschende, geniale Lösungen zeigen. Wenn wir uns dieses Prinzip zur Richtlinie für unser Handeln an jedem Tag machen, wissen wir in jedem Moment worauf es ankommt und was zu tun ist. Wir sind dann keiner Fremdbestimmung mehr unterworfen, sondern unterliegen nur mehr unserer eigenen aus freiem Willen getroffenen Entscheidung für das Gute. Alles was uns daran hindert zueinander gut zu sein, müssen wir bei uns selbst zu heilen anstatt es bei den anderen zu bekämpfen. Wenn wir aufhören, unser Leid zu projizieren hört automatisch der Kampf auf und hält der Frieden Einzug.
 
Vielleicht ist es ja gerade das, was diese Zeit von uns verlangt, wozu sie uns drängt, damit wir letztendlich alle gemeinsam unseren Weg auf eine höhere, menschlichere Stufe finden und vielleicht würden wir die dafür notwendigen Veränderungen in uns selbst und in unserem persönlichen Verhalten ohne den entsprechenden Druck niemals durchführen.
 
Lass mich wissen wie du darüber denkst, zu welchen Erkenntnissen du gekommen bist, welche Erfahrungen du gemacht hast.
 
Christian

Allein

Allein

aussichtslos

ausschließlich, einsam

einzig, extra, frei,

freilich, gottverlassen, kinderlos, lauter,

ledig, mutterseelenallein, nur, selbst, solo,

unbeweibt, unverheiratet, verlassen, vereinsamt, zurückgezogen, zumindest,

ganz allein

allein entscheiden

allein genügen

allein deshalb / deswegen

Es ist Unsinn
sagt die Vernunft

Es ist was es ist 
sagt die Liebe

Es ist Unglück
sagt die Berechnung

Es ist nichts als Schmerz
sagt die Angst

Es ist aussichtslos 
sagt die Einsicht

Es ist was es ist
sagt die Liebe

Es ist lächerlich 
sagt der Stolz

Es ist leichtsinnig
sagt die Vorsicht

Es ist unmöglich
sagt die Erfahrung

Es ist was es ist 
sagt die Liebe                                     „Was es ist“, von Erich Fried